Charakter der Woche: David Feiler-Kalmar

Lieber David Feiler-Kalmar, Du arbeitest im gesundheitspolitischen Bereich, ich sehe Dich regelmäßig in einem Notizbuch mitschreiben und Du liest auch gerne. Welche Bedeutung hat für Dich ein Notizbuch?

David: Ich bin generell ein sehr analoger Mensch. (lacht) Es gibt bei mir zwei Arten von Notizbüchern. Das eine ist das berufliche, das andere ist das private. Das berufliche Notizbuch verwende ich zum stichwortartigen Mitschreiben bei Meetings, weil ich ein großer Fan von Memos bin. Damit kann man sich erinnern, was man mit den Leuten in den Terminen besprochen hat. Ich verwende ein kleines Notizbuch, um dezent mitzuschreiben ohne eine Barriere im Gespräch zu schaffen, das heißt ohne den Kontakt mit dem Gegenüber dadurch zu unterminieren. Der Einsatz von einem Laptop zu diesem Zweck wäre kontraproduktiv. Leute haben beim Laptop das Gefühl, man hätte regelrecht eine physische Barriere zwischen sich selbst und dem Gesprächspartner errichtet. Deswegen ist für mich ein kleines Notizbuch für diesen Zweck ideal und es landen in diesem Notizbuch auch wichtige Informationen. Manchmal ist es für mich auch ein Ort, wo ich brainstorme oder Ideen skizziere. Das Notizbuch bietet mir eine freie Fläche für Gedanken und ist mir daher ein sehr lieber Gegenstand in meiner beruflichen Welt. Das ist das eine. Das andere ist ein etwas größeres Notizbuch für private Gedanken und Überlegungen sowie bei recht anspruchsvollen Büchern, aktuell ein kompliziertes philosophisches Werk aus dem 12. Jahrhundert, um meine Gedanken dazu festzuhalten und mir meinen eigenen Reim darauf zu machen. Das mache ich mit großer Freude. Es stellt für mich eine Form von sehr intensivem Lesen dar. Ich setze mich dabei mit den Inhalten sehr auseinander.

Schreibst Du beim Lesen immer privat mit?

David: Nein, für den Großteil meiner Bücher mache ich es nicht, aber es gibt doch einige, bei denen ich es im Nachhinein betrachtet gerne gemacht hätte. Es erfordert nur viel mehr Zeit und Kontinuität als ich für gewöhnlich für das Lesen eines Buches zur Verfügung habe. (lacht) Aber bei ganz ausgewählten Werken mache ich es dann doch.

Hast Du Dein berufliches Notizbuch immer mit und Dein privates eher daheim beziehungsweise an dem Ort, wo Du liest?

David: Ja, genau. Mein privates Notizbuch wandert mit meinem jeweiligen Buch immer mit, wenn ich mindestens zwei bis drei Stunden dafür Zeit habe, damit es sich auszahlt. Dann vertiefe ich mich in das Buch und mache mir ein paar Notizen nach jedem Kapitel. Das ist vor allem interessant bei Büchern, die wirklich schön kompliziert sind und die sehr zum Nachdenken anregen.

Das heißt, Du machst das unmittelbar, damit Du gleich alles für Dich Relevante festhältst, um es nicht wieder zu vergessen?

David: Genau, es nimmt durchaus die Form eines Kommentars zu dem jeweiligen Buch an, das heißt eines privaten Kommentars natürlich.

Liest Du Deine privaten Kommentare auch immer wieder nach?

David: Ja, ich sehe sie als ganz persönlichen Schlüssel zu diesem Werk, wenn es ein ausreichend wichtiges ist, was mir immer wieder in die Hände fällt und ich etwas nachsehen möchte. Meine Notizen dazu stellen mein Hilfswerk dar.

Im beruflichen Kontext sind Dir Memos sehr wichtig und dafür schreibst Du mit. Wie handhabst Du anschließend Deine Mitschrift?

David: Ich setze mich im Anschluss an meinen Laptop und erstelle basierend auf meinen Stichworten im Idealfall am selben oder nachfolgenden Tag ein vollständiges Memo von dem Meeting. Dafür kann ich mich auf meine Notizen stützen, weil ich es bei entscheidenden Formulierungen oft wichtig erachte, tatsächlich den O-Ton festzuhalten. Unmittelbar nach dem Meeting habe ich es noch frisch im Gedächtnis und kann diese sehr gut ergänzen.

Was steht auf der jeweils ersten Seite von Deinem beruflichen und privaten Notizbuch?

David: Beim beruflichen Notizbuch ist es irgendein zufälliges Meeting, denn ich habe bestimmt schon sechs oder sieben Notizbücher vollgeschrieben. Wenn das eine aus ist, nehme ich einfach das nächste zur Hand und schreibe dort ohne Unterbrechung weiter. Im privaten sind es wahrscheinlich erste Überlegungen zur Einleitung des betreffenden Werkes. (lacht)

Du hast erwähnt, dass Du ein sehr analoger Mensch bist. Was bedeutet das für Dich sonst noch?

David: Wir haben zu Hause ein Zimmer, das „Bibliothek“ heißt. Ich hoffe, dass wir sobald nicht umziehen, denn das würde sehr viel Arbeit mit den vorhandenen Büchern bedeuten. (lacht) Ich lese keine E-Books und ich weiß nicht, wie ich in einer Neubauwohnung mit einer 2,5 Meter hohen Zimmerdecke wohnen sollte, weil ich nicht wüsste, wo man die Bücher hingeben könnte.

Es ist schön, heutzutage zu hören, dass noch jemand ein Bibliothekszimmer in der eigenen Wohnung hat.

David: Meine Frau ist auch ein großer Bücherfan und daher sind die eine Hälfte ihre und die andere Hälfte meine Bücher. Bücher sind für mich etwas ganz Wichtiges und ganz stark die Form, wie ich geistig wach bleibe. Das Berufliche ist für mich recht operativ und die intellektuelle Betätigung läuft dann für gewöhnlich über die Auseinandersetzung mit Büchern. Ich bin ein sehr haptischer Mensch und ich mag es, Bücher aus dem Regal zu nehmen und nebeneinander zu legen sowie Texte parallel zu lesen. Das geht digital alles relativ schwer, ganz zu schweigen von Büchern, wo man sich vielleicht Notizen gemacht hat. Wobei es eine schwierige dogmatische Frage ist, ob man Notizen in Büchern machen darf. (beide lachen)

Warum ist das aus Deiner Sicht eine schwierige dogmatische Frage?

David: Naja, weil man das Buch natürlich ein bisschen besudelt. Andererseits kann man es sich für das Wiederlesen von manchen Werken sehr erleichtern. Es kommt auch darauf an, um welche Bücher es geht. Wenn es sich um ein neues Paperback Massenprodukt handelt, dann ist es relativ egal. Wenn es ein antiquarisches Buch ist, dann finde ich es nicht so edel, wenn man hineinkritzelt. Den Großteil der Bücher, die ich lese, kaufe ich antiquarisch und behandle sie pfleglich.

Ich habe Dich als sehr strategischen Menschen kennengelernt. Welche großen Ziele hast Du in Deinem Leben schon erreicht?

David: Ich finde diese Frage nicht ganz einfach. Ich würde sagen, dass ich einen Job habe, der interessant ist und der mir Spaß macht. Das war immer eine Hoffnung von mir, dass ich das erreiche und das ist mir bislang immer gelungen. Zweitens, dass ich eine wundervolle Familie habe, die mich auf Trab hält. (beide lachen)

Letzteres ist sehr charmant formuliert. Wenn Du Dir sowohl die berufliche als auch die private Seite ansiehst, welche Deiner Charakterstärken haben Dir dabei retrospektiv geholfen, Deine Ziele zu erreichen?

David: Ich würde sagen das Zuhören-Können, das Geduld-Haben, und zwar mit anderen Menschen, nicht mit Dingen, und das Ums-Eck-Denken.

Was meinst Du mit Ums-Eck-Denken?

David: Nicht nur der gerade Weg führt ans Ziel, sondern viele Dinge sind viel leichter zu erreichen, wenn man sie nicht direkt anstrebt. Manchmal ist man viel schneller dort, wenn man einen indirekten Weg findet, wo man zweimal ums Eck muss. Man muss nicht mit dem Kopf durch die Wand, um hinter die Wand zu gelangen, man kann auch rundherum gehen. (lacht)

Du hast sowohl beruflich als auch privat schon große und wichtige Ziele für Dich erreicht. Was sind Deine nächsten großen Ziele?

David: (überlegt) Das ist eine sehr gute Frage. Ich sehe es für mich als ganz wichtig an, nicht aufzuhören, zu lernen und sich zu entwickeln. Das ist eine wichtige Herausforderung, weil manche Dinge sind gut so wie sie sind, aber wenn man sie immer so lässt, hat man aufgehört, sich weiterzuentwickeln. Es macht mir am meisten Spaß, neue Dinge zu lernen und über das, was man bisher gemacht und gekonnt hat, hinauszuwachsen.

Wie entwickelst Du Dich am liebsten weiter, wie machst Du das?

David: Für mich ist es einerseits privat, intellektuell wach zu bleiben und sich mit neuen Dingen zu konfrontieren und andererseits beruflich, nicht in seiner Komfortzone zu verharren, sondern sich Dinge zu suchen, die man noch nicht kann.

Welche Deiner Charakterstärken helfen Dir aus Deiner Sicht dabei, dies zu verfolgen?

David: Sicherlich eine halbwegs schnelle Auffassungsgabe und die entsprechende Neugier und einfach die Freude, sich auf neue Dinge einzulassen sowie die Bereitschaft, mit Ungewissheit umzugehen, in Maßen aber doch. (lacht)

Was meinst Du damit genau, mit Ungewissheit umzugehen?

David: Dinge zu machen, wenn man noch nicht weiß, wie das genau funktioniert, was dabei genau herauskommen wird oder was eigentlich der Auftrag ist, was eigentlich von einem gewollt wird. Beruflich ist es ganz klassisch ein neues Projekt, bei dem noch nicht ganz klar ist, was das Ziel, die Rahmenbedingungen und die Ressourcen sind, aber es soll gut werden. Es geht darum, sich auf etwas einzulassen mit dem entsprechenden Grundvertrauen in sich selber, dass man die Probleme lösen wird können und sich dabei auch auf Kolleginnen und Kollegen stützen und verlassen kann, mit denen man gemeinsam an den Dingen arbeitet.

Kommen wir zurück zu den Notizbüchern. Was steht auf der letzten Seite Deiner Notizbücher?

David: Bei den beruflichen Notizbüchern ist es entweder ein x-beliebiges Meeting oder auch gar nichts, weil die Chance besteht, dass ich mir vorher schon ein neues zugelegt habe. Beim privaten ist es sehr wahrscheinlich gar nichts, weil ich es nicht bis zur allerletzten Seite ausreize. Für mich ist das Notizbuch sehr stark ein Arbeitsinstrument. Die alten beruflichen Notizbücher werfe ich nicht weg, sondern sie kommen in eine Lade und werden dort gesammelt. Das ist fast wie ein Archiv.

Nutzt Du das auch, Dein Archiv?

David: (überlegt) Einmal habe ich es gebraucht, als ich bei einem Memo schlampig war und nachvollziehen musste, wann irgendwo ein Termin stattgefunden hat, weil irgendjemand etwas anderes behauptet hat. Das musste ich widerlegen. (lacht)

Wie ist es bei Deinem aktuellen Notizbuch? Blätterst Du hin und wieder auch zurück oder kommt dies eher selten vor?

David: Das kommt eher selten vor. Bei manchen Dingen, für die ich ein Brainstorming gemacht habe, sehe ich später wieder nach. Aber in erster Linie sind meine Notizen für den Moment.

Warum hebst Du Deine Notizbücher auf?

David: Weil ich einen emotionalen Bezug zu den Notizbüchern habe. Der rationale Grund ist, weil es sich um sensible Informationen handelt, die ich aufheben will. Ich könnte sie genauso gut entsorgen. Dafür habe ich allerdings zu viel Zeit mit dem Notizbuch verbracht, als dass ich es anschließend wegwerfen möchte.

Vielen Dank, lieber David, für die Einblicke in Deine analoge Welt mit zahlreichen, insbesondere antiquarischen Büchern, einer Lade als Notizbuch-Archiv und einer eigenen Bibliothek, die mit Sicherheit Bewunderung genießt.

David Feiler-Kalmar ist studierter Betriebswirt und hat nach mehreren Jahren strategischer Beratung im Bereich Public Affairs und Lobbying 2017 die politischen Agenden bei Amgen übernommen. Er ist auch ein sehr analoger Mensch und sieht in komplizierten literarischen Werken seine persönliche Herausforderung. David lebt mit seiner Familie in Wien.

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