Charakter der Woche: Günter Schmatzberger

Günter Schmatzberger
Lieber Günter Schmatzberger, Du bist Gründungsberater, Unternehmensberater und FH-Lektor und Du warst drei Jahre lang Podcast-Host. Bei all diesen Rollen in Deinem Leben, welche Rolle spielt da ein Notizbuch für Dich?

Günter: Eine riesengroße Rolle. Ich bin ein begeisterter Notizbuchnutzer. Ich bin sozusagen ein Notizbuchnutzer vor dem Herrn.

Ich wundere mich immer, wenn Leute zum Beispiel bei Vorträgen oder Seminaren nicht mitschreiben. Das ist unvorstellbar für mich. Ich war nie in dem Alter, dass ich mir alles gemerkt habe (lacht). 

Ich bin vom Charakter her so, dass ich Dinge nur mit meinen Notizen strukturieren kann. So verschaffe ich mir einen Überblick über mich selbst. Mit meinen Notizen verstehe ich erst, was ich denke. Mein Denken liegt im Schreiben. Das habe ich früh erkannt. Dafür nutze ich auch alles Mögliche wie Schmierzettel, Post-its oder eben Notizbücher.

Und wie organisierst Du Deine Notizen mit all diesen Mitteln?

Günter (lacht): Das ist eine lebenslange Frage und sehr, sehr unterschiedlich. Ich bin Pragmatiker. Je nach Aufgabe nutze ich verschiedene Hilfsmittel für meine Notizen. Auch zum Beispiel digitale Notizbücher. Das Post-it ist für einzelne Gedanken gut, wie ein Schmierzettel. Mit dem digitalen Notizbuch kann ich Texte am Computer laufend weiterbearbeiten. Ein Notizbuch aus Papier ist für Dinge, die bleiben sollen. Für wertvolle Gedanken, die ich weitergeben mag.

Ich habe zum Beispiel für meine beiden Kinder jeweils ein Notizbuch, in das ich immer an ihrem Geburtstag eine Seite schreibe. Das bekommen Sie dann einmal von mir geschenkt, wenn sie groß sind. So etwas ist nur mit einem Papier-Notizbuch möglich.

Auch das Durchblättern. Es gibt nichts Schöneres, als in einem Notizbuch durchzublättern und nachzulesen.

Wenn Du ein Notizbuch von Dir durchblätterst, was liest Du dann auf der ersten Seite?

Günter: Nichts. Gar nichts. Ich lasse die erste Seite immer frei für wirklich wichtige Sachen. Also zum Beispiel ein Inhaltsverzeichnis oder eine Überschrift, aber dann passiert nichts. Also ich schreibe nie etwas im Nachhinein auf die erste Seite. Ich habe großen Respekt vor dieser ersten Seite. Also lasse ich sie einfach frei und starte auf der zweiten Seite.

Was macht diesen großen Respekt vor der ersten Seite aus?

Günter: Das ist eine gute Frage. Denken wir zum Beispiel an Stammbücher aus unserer Schulzeit. Da hat man sich auch nicht gleich vorne hineingeschrieben, sondern in der Mitte. Der Anfang, das ist das ganz Wichtige.

Ich schreibe ja alles auf. Was ist dann das ganz Wichtige? Damit ich anfangen kann zu schreiben, lasse ich somit die erste Seite einfach frei.

Wir verstehen das Notizbuch als einen wichtigen Begleiter, um Ziele zu erreichen. Welches große Ziel in Deinem Leben hast Du schon erreicht?

Günter: Da gibt es mehrere. Auf eines bin ich allerdings ganz besonders stolz. Vor zwei Jahren habe ich beschlossen, nie wieder in meinem Leben zu arbeiten. Ich wollte es schaffen, nie wieder in die Arbeit gehen zu müssen. Alles was ich mache, sollte einfach nicht mehr Arbeit sein. Ich kann heute sagen, das ist mir gelungen.

Ich mache jetzt alle meine Aufgaben, und bekomme sogar Geld dafür (lacht). Ich denke mir, ich würde es auch für weniger machen, oder natürlich auch für mehr (lacht).

Das Notizbuch hat hier eine große Rolle gespielt. Das Ziel war nicht einfach, zu erreichen. Ich musste herausfinden, was diese Arbeit ist, die sich nicht wie Arbeit für mich anfühlt. Das war ein langer Reflexionsprozess. Ich habe einmal im Monat aufgeschrieben, was mich interessiert. Ich habe es mir im Aufschreiben bewusst gemacht. Das Schwierige ist immer, darauf zu kommen, was man machen möchte.

Welche Deiner Charakterstärken hat Dir bei diesem Reflexionsprozess am meisten geholfen?

Günter: Diese eine Charakterstärke… Sie ist Segen und Fluch zugleich (lacht): Ich denke viel nach. Ich habe eine hohe Selbstreflexion. Sie zwingt mich dazu, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Ich bin sehr neugierig und ich interessiere mich für mich selbst.

Markus Rogan hat einmal über Hermann Meier gesagt: „Es ist besser, wenn man nicht so viel nachdenkt. Dann kommt man schneller ans Ziel.“ Das meine ich mit Fluch.

Welches nächste große Ziel möchtest Du gerne erreichen?

Günter: Meine Erfahrung aus der Gründungsberatung führt mir immer wieder vor Augen, dass EPUs (Anmerkung: Ein-Personen-Unternehmen) bzw. Solopreneure mehr Ahnung von Betriebswirtschaftslehre haben sollten. Sie suchen sich eine wertvolle Aufgabe mit ihrer Unternehmung aus, sind aber oft schlecht mit betriebswirtschaftlichem Wissen ausgestattet. Dieses müsste für eine erfolgreiche Unternehmung die Basis sein. Das Gegenteil ist leider oft der Fall. Daher möchte ich ein Buch schreiben über Betriebswirtschaftslehre für Solopreneure.

Und was brauchst Du für dieses Buchvorhaben?

Günter (lacht): Verbissenheit. Da muss ich mich hineinbeißen. Es kann ja nicht sein, dass dieses mangelhafte Wissen vorherrscht.

Ich brauche da eine positive Form von Selbstüberschätzung. Hier kann ich einen Beitrag leisten. Ich bin berufen, das zu tun. Mit meiner Erfahrung habe ich bei diesem Thema sehr viel zu sagen. Und genau dieses Selbstbewusstsein brauche ich. Ich weiß, was ich kann.

Du sagst, Du bist berufen dazu, dieses Buch zu schreiben. Wie merkst Du das?

Günter: Ich merke das in zwei Bereichen. 

Mir fallen diese Dinge auf. Es gibt kein BWL-Buch für Solopreneure. Und ich denke mir: Das gibt es ja nicht, dass es das nicht gibt. Hat kein BWL-Professor vor zwanzig Jahren so ein Buch geschrieben? Das hat etwas zu bedeuten. Somit ist dieses Buch wohl meine Aufgabe.

Und dann macht es mir Spaß, darüber zu reden. Es ist etwas, das mir nahe geht. Wenn man eine Idee sieht, dann ist sie offensichtlich. Aber der Weg dorthin ist… Dafür sind Notizbücher nützlich. Mit ihnen gewinnt man einen Überblick.

Das heißt, beim Schreiben in einem Notizbuch kommen bei Dir die Ideen. Richtig?

Günter (lacht): Da zitiere ich gerne C. G. Jung: „Die Ideen sind schon da.“ Menschen glauben, dass sie eine Idee habe. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Idee schon da ist und mich findet. Und beim Schreiben fällt sie mir plötzlich auf. Da kommt ein Impuls und auf einmal stoße ich auf eine Idee. Aber es wäre falsch zu glauben, dass sie aus mir herauskommt. Sie war schon da und ich bin auf sie gestoßen.

Das erinnert mich an eine Aussage eines guten Freundes. Ich habe ein Buch jahrelang im Regal stehen gehabt und auf einmal ist es mir in die Hände gefallen und ich habe es gelesen. Er meinte: „Das Buch hat Dich gefunden.“

Günter: Ja genau. Das Buch war schon da und es hat Dich dann zum richtigen Zeitpunkt gefunden.

Ich habe mit meinem Podcast über Personal Projects die Arbeit von Brian Little aufgegriffen. Brian Little hat mir erzählt, dass er zufällig ein falsch eingeordnetes Buch in die Hände bekommen hat. Dieses Buch war dann der Grund für alles, was er später gemacht hat.

Du hast mit „Highway to Hell: Die 11 größten Fehler im Projektmanagement“ schon ein Buch geschrieben. Was war bei diesem Schreibprozess das Mittel Deiner Wahl?

Günter: Ich habe mit einem digitalen Notizbuch gearbeitet. Bei so einem Projekt ist der Text im Entstehungsprozess nicht fix. Er verändert sich ständig. Er wird bearbeitet. Das digitale Notizbuch hat hier einen großen Vorteil: Der Text lebt. Der Computer ist hier wie eine Werkbank. Ich mache gerne diesen Vergleich, weil mein Vater Tischler war. Die Notiz ist lebendig. Sie wird bearbeitet. Da gibt es auch keine erste Seite. Es darf sich alles verändern.

Und wie hast Du Deine Podcast-Folgen vorbereitet?

Günter: Mit Mindmaps auf Schmierzetteln. Und dann habe ich mit digitalen Notizen weitergearbeitet. Das waren auch immer Texte, die überarbeitet werden mussten. 

Kommen wir zurück zum Notizbuch aus Papier. Was steht hier auf Deiner letzten Seite?

Günter: Normalerweise schreibe ich über die letzte Seite hinaus. Wenn ich auf der letzten Seite mit meinem Gedanken nicht fertig werde, dann muss ich natürlich weiterschreiben und ihn beenden.

Du schreibst dann auf dem Nachsatz?

Günter: Ja, das ist ein gutes Wort (lacht). 

Lass mich die Frage auch anders beantworten. Was soll auf meiner letzten Seite stehen? Wenn sich mein persönliches Notizbuch schließt. Ich wünsche mir, mitten im Wort zu gehen. Schreiben können bis zum Ende. Schreiben ist ja für mich Selbstreflexion. Der Weg zu mir selbst.

Es ist nicht so einfach, mir selbst etwas über mich zu erzählen. Beim Schreiben erfahre ich etwas über mich und beginne, mich zu verstehen. Das Schreiben ist für mich, die Geschichte über mich selbst zu erzählen.

Lieber Günter, vielen Dank, dass Du uns ein Stück in Deine Geschichte mitgenommen hast und für die Erkenntnis: Die Idee findet Dich.

Günter Schmatzberger ist Unternehmens- und Gründungsberater, FH-Lektor, Buchautor, ehemaliger Podcaster – „Lehrer in vielen Formen und Gestalten“, wie er über sich selbst sagt. Er lebt mit seiner Familie in Maria Enzersdorf und muss nicht mehr arbeiten.

www.schmatzberger.com

Fotocredit: Dieter Lampl