Charakter der Woche: Friederike Müller-Wernhart

Friederike Müller-Wernhart
Durch unsere gemeinsame berufliche Vergangenheit weiß ich, dass Du Dir wichtige Gedanken stets in Notizbüchern eingetragen hast. Welchen Stellenwert haben Notizbücher für Dich?

Notizbücher haben einen eigenen Charakter und sagen sehr viel über die Persönlichkeit des Menschen aus, der sie verwendet. In Notizbücher schreibe ich nur Botschaften mit langer Lebensdauer. 

Was steht auf der ersten Seite in Deinem Notizbuch? Welche Botschaften schaffen es in Dein Notizbuch?

Der erste Satz ist entscheidend für den Charakter des Buches. Der erste Satz bleibt immer bestehen und setzt den Startpunkt. Bildlich gesprochen fungiert das Notizbuch als Fortsetzungsroman. Ein Notizbuch drückt einem ab dem ersten Satz einen Charakter auf.

In Notizbücher verliebt man sich. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Farbe, Material, Umfang. Das ist auch der Unterschied zwischen einem Notizbuch und einer Kladde. Eine Kladde trägt man mit sich herum. Bei einer Kladde habe ich keine Hemmungen, etwas hineinzuschmieren.

Innovationen skizziere ich auf ein fliegendes Blatt. Ein Einzelblatt dient als Notiz. Ins Notizbuch kommt schließlich der fertige Gedanke.

Die ersten drei Seiten eines Notizbuchs bleiben bei mir leer. Eine Seite, auf der nichts steht, dann ein Titel und dann ein Zitat bzw. ein das Buch bestimmender Prolog. Ich habe auch einige Zeit damit verbracht, Prologe zu üben. Wenn jemand Fremder das Buch in die Hand bekommt, soll im Prolog das abgerufen werden, was dann später darin abgebildet ist. Am besten ein Wort oder ein Satz, in dem alles vereint zum Ausdruck kommt.

Heißt das, Du würdest Deine Notizen auch mit anderen teilen?

Nein, nicht als Notizen. Wenn jemand ein Buch schreibt, dann, weil es aus einem herausmuss. Nicht für die anderen, sondern für sich selbst. Das sind die erfolgreichsten Bücher.

Bei wie vielen Notizbüchern hast Du die ersten drei Seiten beschrieben?

Noch bei keinem. Das hat auch damit zu tun, dass ich nicht alle Notizbücher stets um mich habe. Es war mir zunächst wichtig, Dinge nieder zu schreiben, damit ich weiß, dass es sie schriftlich gibt. Ich habe die einzelnen Notizbücher nicht abgeschlossen. Sie zeigen immer einen bestimmten Lebensabschnitt von mir. Sie bilden Gedanken ab, sind jedoch wie das Leben selbst nicht abgeschlossen. Hier gibt es Parallelen zum Marketing: Immer vorausdenken.

Im Marketing gilt es stets auf ein Ziel hin zu arbeiten. Welches große Ziel hast Du in Deinem Leben schon erreicht?

Lustigerweise habe ich schon einige Menschen damit erschreckt, indem ich sage, ich erreiche immer das, was ich mir wünsche. Klingt vielleicht arrogant, aber ich habe mir immer ein Bild davon gemacht, wie die Zukunft sein wird. So gesehen, habe ich mir meinen Weg schon immer bildlich vorgestellt und bereits mit elf Jahren damit begonnen.

Wie gehst Du bei der Erreichung von Zielen vor?

Zuerst kommen die Gedanken auf ein weißes Blatt, wo ich bereits versuche, eine Struktur zu schaffen. Und nebenbei schreibe ich bildhaft in ein Notizbuch, in Sätzen, in Begriffen, in Wörtern, die so dicht sind, dass ich die Gedanken im Idealfall als quasi Materie sofort abrufen kann. Wenn ich mir diese Notizen drei Jahre später ansehe, sehe ich, dass es eingetroffen ist. Die Magie des geschriebenen Wortes trägt die Erfüllung bereits in sich.

In dem Lebensabschnitt, in dem ich mich jetzt befinde, sollte man keine Ziele mehr haben, sondern jeden Tag so leben, als wäre er unendlich. Als zielorientierter Mensch war es schwierig, mich umzustellen. So gesehen haben diese Bilder und der Satz „Der Weg ist das Ziel“ große Bedeutung gewonnen. Wenn man heute einen Baum pflanzt, werde ich nicht mehr erleben, wie er groß wird. Wenn ich aber das Bild im Kopf habe, kann ich mich an der Vorstellung erfreuen.

Welche Deiner Charakterstärken haben Dir bei der Erreichung Deiner Ziele geholfen?

Ich habe mich viel mit Hunden beschäftigt. Jeder bekommt den Hund, den er verdient. Wenn ich die Beute im Fang habe, dann lasse ich nicht mehr aus. Das ist auf mich zutreffend, dass ich niemals aufgegeben habe. Wirklich nie (lacht). Nicht auslassen, um den Weg zu gehen. 

Welches nächste große Ziel möchtest Du erreichen?

Ganz ehrlich, ich würde mich sehr, sehr gerne mehr um den Garten kümmern. Neben der Hundeerziehung habe ich das Luxusziel, meinen Garten gestalten zu können. Ich möchte den Garten so gestalten, dass darin unterschiedliche Klimazonen vorkommen: Wüstenklima mit Sand, schattiges Klima mit Blättern. Für die Planung würde ich eher ein CAD-Programm und weniger ein Notizbuch benötigen (lacht).

Im eigentlichen Sinne ist das wieder kein Ziel, sondern es gilt wiederum: Der Weg ist das Ziel. Die Natur gibt den Weg vor. Das Ergebnis der jetzigen Handlungen kommt erst im nächsten Jahr oder nach mehreren Jahren zum Vorschein. Da habe ich zum Beispiel auch verstanden, was Erde heißt. Erde hat man erst nach fünf Jahren. Es ist ein Hobby und man lernt von der Natur. Das sind wirkliche Kraftanstrengungen, körperliche Kraftakte und Kilometer, die man zurücklegt. Dafür braucht man lebenslange Fitness und die Fähigkeit sich immer wieder einzurichten und aufzurichten.

Das bestätigt wiederum die Konsequenz, die Du in Zusammenhang mit Deinen beruflichen Zielen beschrieben hast. Jetzt interessiert mich noch, was auf der letzten Seite Deines Notizbuchs steht.

Nichts (lacht). Das gibt die größte Freiheit für Weiterentwicklung, Innovation und Offenheit. Das Jahresende ist immer ein guter Zeitpunkt, um zurückzublicken, auf das Vergangene, das ich nicht mehr verändern kann. So kann man sich geistig frei machen und für Neues öffnen.

Kein Anfang und kein Ende, sondern wie Du erwähnt hast, ein Fortsetzungsroman mit starkem Charakter… Liebe Ricki, ich danke Dir für das Gespräch und Deine bildhaften Gedanken.

Mag. Friederike Müller-Wernhart ist Betriebswirtin mit einer klassischen Marketing-Karriere bei Unilever und Agrana und Medienerfahrung beim ORF für klassische Werbung. Sie war achtzehn Jahre lang Geschäftsführerin einer Mediaagentur mit Schwerpunkt digitale Innovation für Real Time Advertising. Seit ihrer Pensionierung im Jahr 2018 gibt sie als Senior Expertin ihre Erfahrung in Marketing, digitaler Innovation und Unternehmensführung weiter.

Fotocredit: Christoph Breneis